Beweglichkeit, Blog

Seminar Neuro Mobility

Denkst Du auch immer, dass Deine Muskulatur verkürzt ist und Du somit Deine komplette Bewegungsweite nicht richtig ausschöpfen kannst?

Zum Beispiel fällt mir das öfter auf, wenn ich im Training sage: „Bitte berührt mit Euren Fingerspitzen die Fußspitzen!“ Sehr oft kommen die Teilnehmer maximal bis zu den Knöcheln, wenn überhaupt. Sie alle sagen, dass ihre Hamstrings, also die hintere Oberschenkelmuskulatur „verkürzt“ ist. Hört sich irgendwie richtig an, weil wir ja nicht bis ganz nach unten kommen mit den Fingerspitzen.

Aber, was ist es eigentlich wirklich, warum wir unsere Bewegungsweiten oft nicht richtig ausschöpfen können?

Am letzten Wochenende, 06./07. Juni 2020, war ich in dieser unsäglichen Coronakrise endlich wieder live in Brühl auf dem zweiten Seminar von Lars Lienhard zum Thema „Neuro Mobility“, quasi der Fortsetzung des letzten Seminars „Neuroathletik“.

So viel vorweg, es war wie Magie und Lars Lienhard war der Magier. Es war unfassbar spannend und interessant. Von der ersten Minute des Seminars, und ich war richtig müde das ganze Wochenende, bis zur letzten Minute hing ich an seinen Lippen und wollte mehr erfahren. Wir waren 12 Teilnehmer und merkten gar nicht, wie die Zeit verging, weil jeder von uns ausprobieren, fragen und hören wollte, wie das Neuro Mobility Training im Sport angewandt wird.

Lars Lienhard ist für mich die europäische Koryphäe in Sachen Neuroathletiktraining für Sportler. Er selbst hat seine Ausbildung bei Dr. Eric Cobbs, Z-Health, gemacht, aber sich danach eigenen Studien und Erfahrungen gewidmet, da Z-Health allgemein forscht und Lars im Bereich Spitzen-/Elitesport unterwegs ist.

Es war mehr als erstaunlich zu sehen, wie Teilnehmer plötzlich nach Monaten/Jahren wieder den Arm über den Kopf heben oder nach hinten strecken konnten, was vorher nicht annähernd möglich war.

Alles möglich durch Neuro Mobility Training.

Also der Arbeit mit unserem Gehirn, den Nerven und den Rezeptoren, die sich überall in unserem Körper befinden. Für Sportler ist es besonders wichtig, exakt zu wissen, wo sich ihre Gelenke befinden und sich in sie hineinfühlen zu können. Denn in unseren Gelenken befinden sich unzählige Propriozeptoren, also Rezeptoren, die Reize aufnehmen und dem Gehirn die Gelenkstellung und die Bewegung des Körpers im Raum melden. Unsere Gelenke übertragen die Kraft auf unsere Knochen und die Muskulatur und sind damit unsere wichtigsten Trainingsobjekte. Kontrollierte Gelenksbewegungen machen zu können, bedeutet ein sehr gut funktionierendes priopriozeptive System zu haben.

Diese Erkenntnis ist nicht wirklich neu. Sie ist schon seit den 1970er Jahren bekannt, aber Lars Lienhard hat diese Erkenntnis seit vielen Jahren im Sport getestet und gibt sie weiter an Elite-Kader-Athleten aus allen Sportarten (Einzel- und Teamsport).

Versucht doch mal gezielt Euer Fußgelenk zu bewegen! Es fällt nicht jedem sofort leicht, denn meistens bewegt man den Fuß und nicht das Gelenk. Aber, durch gezieltes Reiben (nervliches Vorbahnen) an den drei markierten Punkten (Mulden am Sprunkgelenk, wo sich der äußere, mittlere und innere Fußrückennerv befinden), ist es mit ein klein wenig Übung möglich, das Gelenk gezielt anzusteuern. „HIT THE TARGET!“ Versucht es mal!

Wie oft trainiert Ihr gezielt Eure Augen?

Selten! Wenn man bedenkt, dass 70-90% aller Reize, die dem Gehirn gemeldet werden, visueller Natur sind, also über die Augen ans Gehirn geliefert werden, dann ist das entschieden zu wenig.

Unser Gehirn möchte und muss sich sicher fühlen bei allem, was es macht und entscheidet. Machen wir Bewegungen, die wir noch nie gemacht haben oder in die wir noch nicht gekommen sind, weil wir sagen, dass unsere Muskulatur „verkürzt“ ist, dann sind diese Gehirnareale, die für diese Bewegungsweite oder die Bewegung zuständig sind, nicht genügend oder gar nicht durchblutet. Die Durchblutung dieser Gehirnareale können wir durch sensorische Reize erreichen, sprich über das: Sehen, Fühlen, Schmecken, Hören, Riechen und Wahrnehmen des Körpers in Bezug auf Schwerkraft, Bewegung und Gleichgewicht.

Mit Dehnungen der Muskulatur hat das wenig bis gar nichts zu tun. „Beweglichkeit ist eine Entscheidung, die das Gehirn trifft,“ sagt Lars Lienhard.

Jede Einschränkung am Nerv bedeutet eine sofortige Mobilitätseinschränkung. Da sich das Nervensystem, also die „Meldungsbahnen“ von den Rezeptoren zum Gehirn und Rückenmark, auf dem vestibulären System (Gleichgewichtssinn) aufbaut und dieses wiederum das visuelle System steuert, macht es sehr viel Sinn, sich viel mehr mit den Augen und dem Gleichgewichtssystem zu befassen als es bislang im Training der Fall war. Und mit dem Gleichgewichtstraining sind keine wackeligen Untergründe gemeint. So viel habe ich jetzt gelernt!

Das Gehirn hat sich durch Bewegung geprägt und gebildet, was man bei Babys und Kleinkindern sehr gut beobachten kann. Durch das Hinfallen und Aufstehen haben wir als Kleinkind gelernt, unsere Füße anzuheben beim Gehen oder zu springen, wenn vor uns ein Hindernis steht, oder haben eine bestimmte Körperhaltung, welche zum Gleichgewichtssystem gehört, erlernt.

Hier noch mal kurz der Vorgang:

  1. wir empfangen Reize über die Augen, Propriozeptoren am Sprung-/Kniegelenk oder über andere Rezeptoren
  2. diese Reize werden über Nervenbahnen ans Gehirn (Kleinhirn –> Medulla –> Thalamus –> Paritallappen) gemeldet und das in einem Wahnsinnstempo, afferenter Vorgang
  3. das Gehirn entscheidet ebenfalls in einem Wahnsinnstempo, wie es darauf reagieren möchte und antwortet z. B. in Form von Bewegung (Ausfallschritt…).
  4. Je nachdem, ob das Gehirn sich sicher in der Bewegung fühlt wird die volle Bewegungsweite ausgeführt (sicher) oder nicht (unsicher). Bei Unsicherheit kommt es meistens zu Verletzungen, wenn es z. B. zu einem plötzlichen Ausfallschritt mit einer Drehung kommt und der Sportler sich noch nie vorher in dieser Position befunden hat. Die Kraft am Ende der Bewegungsweite lässt nach. Dort im Gelenk ist der unsicherste Punkt. Resultat: Kreuzbandriss! 🙁 Heißt also, alle Rezeptoren der körperlichen Bewegung liegen an den Gelenken. Das Gelenk muss gefühlt werden, um es optimal bewegen zu können und muss am Ende der Bewegungsweite gekräftigt werden.

Empfohlen ist es, nie vor dem Krafttraining propriozeptives Training zu machen, da man an dieser Stelle die Kraft für mindestens 10 Minuten hemmt. Weiterhin empfiehlt Lars Lienhard an der Stelle, an der man zum ersten Mal den besten Erfolg beim Ausführen der vollen Bewegungsweite hatte, ein isometrisches Training anzuwenden bzw. Druck auf das Endgelenk auszuüben. Ebenso sollte auf eine stabile innere Mitte geachtet werden, auch die muskuläre Spannung wird vom Gehirn geregelt. Diese Trainingseinheiten müssen sehr oft wiederholt werden, mehrere hundert Mal, bis sich das Gehirn auch in diesen Situationen sicher fühlt, die Bewegung vorhersehbar ist und die volle Bewegungsweite mit einem kräftigen End-Gelenk ausführen kann. Jedes Gelenk ist so gut wie es motorisch unter Kontrolle steht.

Das Training wird sehr ermüdend sein, da mit voller Konzentration und in Ruhe gearbeitet werden muss. Daher sollte sich der Sportler auch genügend Auszeit und Ruhephase gönnen, da nur in der Regenerationsphase die Adaption des Trainings stattfindet, gelernt wird. Da die Ermüdung eine Emotion ist, die vom Gehirn gesteuert wird, muss auch hier mental an sich gearbeitet werden. 😉

Nun ist die Erfahrung von Lars die, dass Talente langsam an das Training des Gleichgewichtssystems herangeführt werden müssen. Sie adaptieren die Übungen sehr schnell, können sie dementsprechend schnell umsetzen. Da die Adaption dann aber in einem bestimmten Bereich, Gelenk oder ähnliches passiert, der gerade trainiert wird, bleiben andere Bereiche zurück. Hier ist Vorsicht geboten, da Verletzungen möglich sind. Top-Talente sollten daher wider Erwarten weniger trainieren.

Auch bei Senioren, deren Augenbewegungen sich verschlechtert haben, werden ein schlechteres Gleichgewichtssystem haben und sollten hieran arbeiten.

Nun ist das Gehirn super komplex und hat verschiedene Bereiche, die für wiederum verschiedene Körperregionen zuständig sind bzw. mit ihnen im Austausch stehen. Z. B. steuert das Mittelhirn die Flexoren, die Beugung, vorn am Körper und die Vermis (mittleren Anteil des Kleinhirns) die Extensoren, die Streckung, hinten am Körper. Die Vermis ist z. B. bei Geschwindigkeit, Schnelligkeit und explosiver Arbeit sehr wichtig.

Es gibt viele Tests und Übungen, um herauszufinden, wo die Ursache von Problemen bestehen, die für den Außenstehenden oder den Sportler als sehr lustig oder komisch empfunden werden können, aber sie zeigen ihre Wirkung. Der Sportler muss sich darauf einlassen können. Es ist ein auf großes Vertrauen basierendes Training. Diese Trainingsmethoden sind dazu da, ein Talent zu einem Spitzen-, einem Elite-Sportler zu machen.

Ich danke Lars Lienhard für den Einblick in seine herausragende Arbeit mit Spitzen-/Elite-Sportlern und wünschte, ich könnte bei ihm ein Praktikum machen, um mehr Erfahrungen zu sammeln. 🙂 Es war ein wirklich außergewöhnlich gutes Seminar, was absolut mit seiner sympathischen, offenen und keines Falls abgehobenen Person zu tun hat. Danke sehr!

Und hier ein wenig Werbung 😉

Empfehlenswert sind die Bücher von Lars Lienhard:

  1. Neuronale Heilung: mit einfachen Übungen den Vagusnerv aktivieren – gegen Stress, Depressionen, Ängste, Schmerzen und Verdauungsprobleme
  2. Training beginnt im Gehirn: mit Neuroathletik die sportliche Leistung verbessern
  3. Kraft beginnt im Gehirn: mit Neuroathletik die Kraftentfaltung maximieren
  4. Hier gibt es das Starter-Set für das Neuroathletiktraining: https://www.perform-better.de/shop/sonstiges/neuro-athletik-equipment/neuro-athletic-starter-set-2-0/

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